Dienstag, 18. November 2008

Kochkurs im Atlas

Den Kurs hatten wir zum Abschied geschenkt bekommen, und wir haben fast drei Jahre gebraucht, um ihn einzulösen. An einem Sonntag im Mai morgens um halb elf ging es los. Im hintersten Bahrenfeld. Nach einer Nacht, in der ich erst gegen fünf sternhagelvoll nach Hause gekommen war. Nicht geplant! Eigentlich wollte ich noch zwei nette Getränke nehmen, mich ein bisschen über die Bildungskrise, Almodovar oder sonst ein manierliches Thema unterhalten und dann nach Hause. Frisch gewaschener Pyjama, Zahnbürste, Blumen auf dem Nachttisch, morgens noch eine Runde joggen. Dieses Szenario schwebte mir ganz klar vor, warum ich dann doch davon abgewichen bin, weiß der Himmel. Jedenfalls klingelte um neun der Wecker, und ich konnte kaum glauben, dass ich wirklich stehe/dusche/mich anziehe/ mir die Wimpern tusche, da radelten wir auch schon über die Holstenkamp-Brücke. Meine Freundin guckte zwar nicht ganz so glasig wie ich mich fühlte, aber es ging in die gleiche Richtung. Vor dem Atlas angekommen, warteten da zwischen brunchenden Bahrenfeldern noch vier andere Menschen: ein Pärchen, das aussah, als hätten sie sich in der Mensa der Biologischen Fakultät kennengelernt, und zwei Männer Mitte 40, die den Kurs von ihren Frauen bekommen hatten, was wohl als Witz gemeint war und auch so behandelt wurde. Glück gehabt: ich hatte wirklich Angst gehabt, zwischen Messerexperten zu landen.
Diesen Kurs gibt es jedes Wochenende, immer abwechselnd wird mit Fisch und mit Fleisch gekocht. In der Zeit, in der wir nach einem Termin gesucht haben, stand für den Fleischkurs das Menü immer vorher schon fest, für den Fischkurs aber nie. Und weil ich mich vor Tintenfischen grusele, war klar, dass wir im Fleischkurs landen. Zum Glück bin ich nur vor Tintenfisch fies und vor sonst nicht viel, denn es ging sofort in die Vollen: Nachdem ich kaum vorsichtig am Begrüßungs-Macchiato genippt hatte, saßen wir zwei vor einer riesigen Schale mit Entenlebern, die zu häuten und von Adern und anderem Glibber zu befreien waren. In eine Wolke aus durchdringendem Blutgeruch gehüllt, taten wir mit zusammengebissenen Zähnen unsere gottverdammte Pflicht, während die anderen Kursteilnehmer das aus sicherem Abstand mit unverhohlenem Abscheu beobachteten. Gut, wer einen Kater besiegen will, darf nicht zimperlich sein, sondern sollte das schnell und hart tun – danach ging es besser. Die Entenlebern fühlten sich übrigens ganz hübsch an, kühl und glatt und merkwürdig leicht. Es blieb dabei, dass wir die an den Schneidebrettern und Gasflammen waren und die Jungs lieber gemäßigte Vatertagsstimmung verbreiteten, und genau so fühlten wir uns alle sechs am wohlsten. Der Koch war gemütlich und fröhlich bei der Sache, passte auf, dass niemand sich oder den Zutaten zu großen Schaden zufügte und war völlig immun gegen kennerhaftes Küchen-Geschwafel.
Gegen elf fingen die Herren zu unserer aller großen Dankbarkeit an, möglichst beiläufig zu fragen, wann es denn nun etwas zu trinken gäbe, und unser Koch ließ sich nicht lange bitten und schaffte es, neben der Aufsicht über unsere Schnibbelei und verschiedene brutzelnde Pfannen immer noch die Gläser nachzufüllen. Der Rest des Menüs ging uns dann auch leichter von der Hand. Am Ende hatten wir wahr und wahrhaftig aus eigener Kraft Burger aus selbstgemachten Windbeuteln und Entenlebermousse, Lamm unter der Kräuterkruste mit Tomatenchips und dann noch irgendwas Leckeres fabriziert, an das ich mich aber nicht mehr erinnern kann. Denn wieder mal war ich die große Gewinnerin der Pingeligkeit anderer. Dunkelrosa Lamm und Entenleber mag nicht jeder, und als ich wirklich nicht mehr konnte, saß ich vor einem Berg aus abgenagten Lammknochen, der höher war als ich. Glücklich, gründlich ausgenüchtert und bestimmt nicht mehr imstande, noch irgend eine Art von Nachtisch zu essen. Schnaps? Och joooaaah, wieso nicht.

Schauspielhaus

Ich habe Freunde, von deren Verstand und Geschmack ich die höchste Meinung habe, und die niemals ins Theater gehen würden. Ich kann ihnen erzählen, was ich will, und selbst wenn ich das dufte Publikum, die plüschige Kulisse und die Premierenfeiern anführe, auf denen es ungefähr dreimal so lustig ist wie auf der öden Beletage oder Comitè-Party, nützt das gar nichts. Sie werden einfach nie mitkommen und von Weitem immer finden, ein Besuch im Theater wäre attitüdenhaft, langweilig und so ziemlich das Letzte, worauf sie an einem Freitag Abend Lust haben.
Manchmal sitze ich im Schauspielhaus und kann sie verstehen. Manchmal sitze ich auch da und denke, wenn ihr das hier sehen würdet, nur fünf Minuten lang, dann wüsstet ihr, wovon ich spreche. Und dann gibt es wieder Abende, da weiß ich auch nach zwei Monaten noch nicht, wie ich das jetzt eigentlich genau fand. Der Marat-Abend neulich war so einer. Mein Freund ist nach zehn Minuten in den Keller verschwunden, um ein Bier zu trinken, und ich konnte ihn verstehen. Andere haben minutenlang applaudiert, und die konnte ich auch verstehen. Vielleicht haben sie ja auch nur deshalb so wild applaudiert, weil sie das Gefühl hatten, bei etwas Großem dabei gewesen zu sein. Ich weiß das, wie gesagt, immer noch nicht so genau, aber war auf jeden Fall gut unterhalten. Viele Momente waren auf die gleiche Art lustig und charmant, die ich an guter Aktionskunst mag. Ideen, die einem beim Busfahren durch den Kopf schießen, und man ist sofort gut drauf beim Gedanken daran, wie viel Spaß es machen würde, das tatsächlich zu machen und nicht nur zu denken und wem man davon erzählen will, wer das am Ende sehen und beklatschen soll – wie wäre es mit dem ganzen Schauspielhaus? Der Moment, in dem Marat als Lenin-Statue über der Menge schwebte und von einer großen Pose in die nächste klappte. Das war lustig, muss es wohl gewesen sein, ich musste nämlich laut lachen. Oder die ersten paar Minuten mit dem Aldi-Lidl-Bühnenbild, in dem die entwürdigten Armen tumb gegen die Gummiwände kippten und flappten wie Fische auf dem Trockenen. Das war zwar nicht lustig, aber sehr gut. Oder der Tanz von Charlotte Corday. Oder die Meditation. Wenn ich das alles aber zusammenzustecken versuche zu einem einzigen Abend, dann weiß ich nicht so richtig, was das war. Ich glaube aber, ich weiß, was das nicht war: ein Skandal. Oder eine Revolution. Vielleicht war es eine Sammlung von schönen Einfällen, die sich am Ende sehr laut verabschiedet, damit man nicht so viel nachdenkt, ob das auch alles so passt und stimmt. Vielleicht war das auch ein Stück, das gleichzeitig Angst davor hat, für spießig gehalten zu werden, und Angst vor zu viel blöder Revolutionsnaivität. Ich habe nicht fünf Minuten geklatscht, aber ich bin auch nicht rausgegangen. Ich habe mich nicht über die Verlesung der Superreichen aufgeregt, aber der Einfall war für mich rangeschmissen und ein bisschen peinlich auf eine Art, auf die mir sonst eher Kabarett peinlich ist.
Hinterher hatte mein Freund zum Glück ganze 90 Minuten im Schauspielhauskeller auf mich gewartet, es gab auch noch Bier für mich, und ruckzuck war es krachend voll. An den Nachbartischen wurde ein bisschen über das Stück gesprochen, aber dann über Jeans, Mentholzigaretten und die Neue von Oasis. Es wurde lustig, und dann sind wir nach Hause gegangen. Ich hatte einen prima Abend. Und ob das aus spießigen oder naiven Gründen so war, ist mir egal. Ach Freunde, wann hab ich euch endlich so weit?

Freitag, 14. November 2008

Bücherhallen am Hühnerposten

Arme, arme Büchereien. Viele denken, dass sie komisch riechen und dass es dort nur Nerds, alte Frauen und dürre, schmallippige Bibliothekarinnen gibt. Dann gibt es noch die Geschichten von ausgeliehenen Büchern, in denen jemand eine Scheibe Salami vergessen hat. Von solchen Geschichten soll sich aber bitte niemand abschrecken lassen, in die Bücherhallen zu kommen! Das meiste davon ist Blödsinn, obwohl es natürlich wahr ist, dass die Dichte an wirklich heißen Outfits abnimmt, wenn man einmal die Spinde passiert hat. (Die Spinde würden mich fast nerven als die die angeblichen Salami-Lesezeichen. Wieso haben die hier nicht einfach so ein Piepding, das merkt, wenn jemand was klauen will? Blöde Spinde. Ich hasse die Spinde.)
Für Büchereien spricht jede Menge. Lange bevor es die persönliche amazon-Leseempfehlung gab, gab es die meterlangen Regale von Büchereien, in denen man zwar das nicht findet, was man sucht, aber dafür etwas anderes, viel Besseres. Büchereien sind wie ein Laden, den man mit dem Plan betritt, Klopapier und Tomaten zu kaufen, und wenn man rauskommt, hat man ein neues Pony dabei. Jedenfalls die guten Büchereien. Damit eine Bücherei gut ist, muss sie erst mal groß sein. Das sind die Bücherhallen auf jeden Fall. Außerdem ist es wichtig, dass die Auswahl der Bücher nicht von einem Kreis von Menschen betrieben wird, die alle das gleiche wollen, sonst muss am Ende die ganze Stadt ständig diese grässlichen historischen Romane über die Frauen oder Schwestern oder heimlichen Geliebten großer Männer lesen. Auch da hat Hamburg noch mal Glück gehabt. Und dann ist an einer Bücherei noch wichtig, dass sie so gelegen ist, dass man ihretwegen und nur ihretwegen in die Gegend kommt. Dann hat man nämlich Zeit, um vom Plan abzukommen. Wenn man erst mal weiß, dass unten im Spind die Jacke direkt neben einer Tüte voller Muscheln liegt, oder wenn man eigentlich nur auf dem Weg zum Pilates ist, hat man nicht die Ruhe, um herauszufinden, wer eigentlich Pieke Biermann ist. Noch ein Pluspunkt für Hamburg: am Hühnerposten ist sonst nichts. Nur die Deichtorhallen um die Ecke, dann noch der Hauptbahnhof, und ein Asia-Supermarkt schräg gegenüber. Man könnte natürlich hinterher noch im Jena Paradies verabredet sein oder sich die F.C. Gundlach-Ausstellung angucken wollen, aber das fällt zum Glück nicht unter eilige Erledigung.

Ach, Mann, wenn man nur mehr Zeit hätte, um wenigstens einmal im Monat hier so lange an den Regalen vorbeizulaufen und vertikale Bücherrücken zu lesen, bis der Nacken knackt. Und wenn man nur plietsch genug wäre, die Bücher auch wieder abzugeben. Manche von uns, die kriegen das hin, für jedes zweite Buch am Ende den Kaufpreis zu bezahlen. Manche von uns lesen auch immer acht Bücher gleichzeitig, so dass sie am Ende sogar für jedes einzelne zahlen, weil alle erst nach drei Monaten ausgelesen sind. Manche, die stapeln die ausgeliehenen Bücher neben dem Bett, und irgendwann stellen sie dann eine Lampe oder Vase oder sonstwas drauf, so dass sie die Bücher gar nicht mehr als Bücher wahrnehmen, sondern nur als Tischchen, und dann wundern sie sich eines Tages, wenn die Briefe aus den Bücherhallen immer wichtiger aussehen und schon fast zu qualmen scheinen vor Dringlichkeit. Manche sind wirklich zu blöd für die schönen Bücherhallen.

Montag, 10. November 2008

Cucinaria

Mache ich mich sehr unbeliebt, wenn ich sage, dass ich hier schon eingekauft habe? Vermutlich ja, aber ich habe eine gute Entschuldigung: ein Laden, in dem es fast alles gibt für die Küche, hat eben nicht nur Messer für Zahnärzte, die kurz vorm Durchdrehen unbedingt ein Hobby brauchen, oder Espressomaschinen, die nur der Hausherr bedienen darf, sondern auch Küchengarn, Käsetücher, Schneebesen und Guglhupf-Formen. Jetzt weiß ich aber auch schon wieder nichts mehr zu schreiben, Perfektion ist langweilig. Vielleicht so viel: ich denke erstens, es wäre noch viel schöner hier, wenn die Angestellten selbst ein bisschen mehr Spaß am Kochen ausstrahlen würden. Und ich weiß zweitens genau, dass ich in dem Moment aufhören würde, hierher zu kommen, in dem irgendwo in Fahrradnähe ein Laden aufmachen würde, in dem ein verhuschter älterer Herr Guglhupfformen und Käsetücher verkaufen würde. Und drittens denke ich, dass ich einen Schuss habe, mich so schwer damit zu tun, das hier zu mögen. Aber was soll das in einem wenn auch privaten Stadtführer, ich wollte doch über Läden und Orte und Bars schreiben und nicht über Befindlichkeiten? Schluss damit, ich rappel mich zusammen und sage noch mal, wenn das hier jemand liest, der schon lange den perfekten Schneebesen sucht oder ein Teesieb fürs Leben, dann nichts wie hin.

Café Paris

Es ist ein bisschen peinlich, darauf reingefallen zu sein: ich dachte früher wirklich mal, das Café Paris wäre richtig alt. Eine Legende, in der schon vor 80 Jahren gute Leute mittelguten Wein getrunken haben und auf diese Art herrliche Abende hatten. Der Schwindel ist zu überzeugend: das alte Gewölbe, die lange, polierte Theke, die irrsinnige Lautstärke, obwohl keine Musik läuft, die Karte und die Kellner, die zu Recht stolz auf ihren Beruf sind. Erst vor vier Jahren hat mir jemand erzählt, dass es das hier erst seit 2000 oder so ähnlich gibt und dass unter diesem jadegrünen Gewölbe früher mal Wurst verkauft wurde. Bis dahin hatte das Café Paris mich aber schon so im Sack, dass mir das egal war. Es hat mich damit gefangen, dass hier jedes kleines Detail gut ist. Nichts ist lieblos. Egal, wie knackevoll der Laden ist, nie wird etwas vergessen, und wenn doch, dann gibt die Bedienung das sofort zu und tut nicht so, als würde sie sich selbst wundern, wo denn der Barmann das XY gelassen hat. Schon das Brot ist so gut, dass man fast satt ist, bis das Essen kommt, aber trotzdem habe ich noch nie etwas liegen lassen. Rund um das Café ist zwar Innenstadt, also viele Menschen, aber in dieser Straße ist sonst nicht viel los. Trotzdem ist es an einem stinknormalen Donnerstagmittag nicht leicht, hier zu zweit unterzukommen. Ich weiß auch nicht, casten die ihr Publikum? Wenn ja, wer macht das? Der macht das nämlich nicht schlecht. Ich komm nicht auf den Trick. Treiben sie einfach jeden im Viertel zusammen, der irgendwie belesen und fröhlich aussieht? Oder müssen alle mit, die in einem Tweedjacket vorbeilaufen? Nein, da muss es ein anderes Muster geben. Im Café Paris wird jeder beruhigt, der heimlich befürchtet, ab 40 spätestens wäre der Spaß aber endgültig vorbei. Hier sieht man noch Erwachsene, die sich mit Würde betrinken können. Und manchmal sieht man Frauen, die aussehen wie Paloma Picasso, neulich stand ein Mann mit Pfeife vor der Tür, und dazwischen irgendwelche Zausel und grässliche Geschäftsleute, die aber irgendwie wieder mögbar werden allein dadurch, dass sie hier sind und nicht woanders.

Sonntag, 5. Oktober 2008

Asia-Laden am Stellinger Weg

Stell dir vor, du stehst im Supermarkt mit einem Einkaufswagen, in dem ca. 30 Sachen sind. Ein ganzer Einkauf. Nur leider bis auf die eine Zutat, ohne die du dein Abendessen nicht so hinkriegst, wie du willst. Jetzt hast du drei Möglichkeiten.

Die erste: Du lässt den Wagen stehen und gehst. Das wäre praktisch, aber unhöflich, weil dann ein paar Stunden später die Angestellten Deinen Kram wieder wegräumen müssen. Und mit Pech taut sogar der Fisch so weit auf, dass ihn niemand mehr essen kann – und wenn es ganz blöd läuft, ist das dem Supermarktpersonal egal, sie tun ihn trotzdem zurück in die Truhe, und irgend jemand anderes hängt die halbe Nacht überm Klo. Möglichkeit eins ist also wohl keine gute Lösung.
Möglichkeit zwei: Du räumst selbst alles wieder weg und gehst in den nächsten Laden, in der Hoffnung, dass Du da das alles auch bekommst plus die eine fehlende Zutat. Wenn du es so machst, hast du zwar ein gutes Gewissen, aber wenn du Pech hast, dann gibt es im nächsten Laden auch wieder eine Zutat nicht (natürlich eine andere) und Du bist genau so weit wie vorher. Außerdem ist das die sicherste Methode, die Lust auf dieses Abendessen zu verlieren.
Möglichkeit drei: Du kaufst das, was da ist, und schleppst Dich dann mit zwölf Kilo Einkäufen in den nächsten Laden. Unterwegs reißt Dir eine Tüte, und Du musst auf diese Art zweimal Dein voll beladenes Fahrrad abschließen, wobei es gerne umfällt (und die Tüte reißt).

Dieses Szenario ist im Supermarkt nicht schön. Im Asia-Laden nervt es aber noch viel mehr. Denn während ich im Supermarkt immer noch eine vierte Möglichkeit habe, nämlich mir einfach ein anderes Abendessen auszudenken, wird das im Asia-Laden schwierig. Zwischen diesen ganzen fremdartigen Gläschen und Flaschen kann ich nicht so herumbummeln und mich inspirieren lassen. Ich hab zwar ein Rezept, aber nicht das leiseste Gefühl dafür, wonach die einzelnen Zutaten schmecken und wodurch sie sich ersetzen lassen könnten. Und noch viel weniger kann ich vom Ma-Po Hühnchen auf Seite 102 spontan umschwenken auf die Ente in Pflaumensauce von Seite 75. Dann kommt noch erschwerend hinzu, dass die Leute im Asia-Laden nicht irgendwelche Angestellten sind, sondern die Ladenbesitzer, sie sind fürchterlich freundlich, und ich will sie nicht enttäuschen, indem ich wieder gehe, weil es keine schwarze Bohnensauce gibt. Gleichzeitig will ich aber auch nicht den nächsten Ladenbesitzer vor den Kopf stoßen, weil ich mit acht Tüten zu ihm in den Laden komme (es sind halbdurchsichtige Tüten, und er sieht garantiert, dass sie knallvoll mit Asia-Kram sind) und dann nur die fehlende schwarze Bohnensauce kaufe. Und dann kommt auch noch dazu, dass die Tüten im Asia-Laden noch viel knistriger und dünner sind als im Supermarkt und noch viel leichter reißen, wenn ich in den nächsten Stadtteil muss, um in noch einen anderen Laden zu gehen.

Nach einer vollgeschriebenen DIN A4-Seite ist wohl klar: Ich sollte mir eine Einkaufstasche kaufen. Und ich finde es gut, wenn ein Asialaden so sortiert ist, dass ich nicht noch woanders hin muss. Zum Glück gibt es einen Laden, in dem noch nie etwas gefehlt hat. Das ist ein kleiner Asialaden ohne Namen am Anfang des Stellinger Wegs, kurz hinter dem Blumenladen, aber noch vor dem Fischgeschäft. Ich weiß nicht, wie sie das machen, denn der Laden ist eher kleiner als die anderen Asialäden. Es gibt drei Sorten indisches Fladenbrot, so ziemlich jedes Gewürz auf dem Planeten, alles für japanisches, thailändisches, chinesisches, indisches oder koreanisches Essen, es gibt Pak Choi, Koriander, Thai-Auberginen, vier Sorten frische Chilis und Galgant. Die Chefin spricht abwechselnd englisch und deutsch, man weiß nie, wieso, aber sie ist sehr nett dabei. Und angeblich gibt es hier unter der Woche auch wirklich gutes Essen (ich kann es nicht wissen, ich kann nur Samstags herkommen). Und alles ist so billig, dass ich manchmal fast ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich nach Hause fahre mit meinen Einkäufen. Ohne weitere Umwege und Zwischenstationen. Und sie geben einem notfalls auch drei Tüten. Noch nie ist eine davon gerissen.

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Vor Petisco, April bis September

Und manchmal auch Oktober, wenn es nicht so ist wie heute.
Was auch schön ist, sogar solches Wetter zum Ertrinken ist schön hier.
Aber dazu auf dem Schulterblatt sitzen und Rippchen abnagen will ich nicht. Und das will ich sonst fast immer!

Ich weiß, das viele Hamburger sagen, das ginge gar nicht. Dann fallen solche Formulierungen wie "sehen und gesehen werden". Wer hier sitzt, der sitzt hier nicht nur einfach so, der demonstriert eine Mischung aus Eitelkeit, Prolligkeit, Ignoranz und purem Spackentum. (Es ist übrigens richtig, richtig billig hier. Dieser Aspekt von "sehen und gesehen werden" kann also nicht gemeint sein. Ich weiß auch nicht. Einer hat damit angefangen, und nun plappern es alle nach.) Das soll zum Teil damit zu tun haben, dass das hier mal weniger ein Vergnügungsviertel als eine Mission war. Und viele von denen, die sich daran noch erinnern, packt eine teils hilflose, teils ziemlich laute Wut darüber, wie man hier einfach so rumsitzen kann mit einer Retro-Sonnenbrille und einen Kaffee trinken. Oder ein portugiesisches Bier. Manche von denen, die das stört, sind vielleicht auch selbst erst vor drei Jahren aus Stuttgart hergezogen. Wer weiß? Es wird jedenfalls ganz schön viel geschwäbelt im Schanzenviertel.

Ich habe keine Retro-Sonnenbrille, sogar überhaupt keine Sonnenbrille, und ich trinke, wenn ich schon mal beim Portugiesen bin, lieber vinho verde als Sagres. Aber davon abgesehen, was es zu bedeuten hat, hier zu sitzen, und abgesehen davon, wie manche das finden, und abgesehen von schlimmer Musik aus Boxen, die freigiebige Musikfreunde unter den Nachbarn uns allen zur Verfügung stellen (wieso tun das immer nur Leute mit blödem Musikgeschmack?), abgesehen vom Rumgestehe und davon, dass man, wenn man Pech hat, hier nach Feierabend plötzlich mitten zwischen denen sitzt, die einen schon tagsüber manchmal nerven, abgesehen von diesem und jenem und noch hundert anderen Sachen geht es mir hier oft so gut, dass ich schon eine fürchterliche Prinzessin auf der Fischkrokette sein müsste, um mich um die ganzen abgesehens zu scheren. Die Rippchen sind genau richtig braun und fettig, und ich würde ja auch mal Hühnchen nehmen, das ist nämlich auch gut, oder Sardinen oder Muscheln, aber das würde ja bedeuten, heute keine Rippchen zu nehmen, und das geht nicht.

Dann ist da noch der Weintrick. Wer hier ein Glas Wein bestellt, bekommt trotzdem eine ganze große mit Wasserperlen betaute Literkaraffe. Wenn er nur ein Glas trinkt, bezahlt er auch nur ein Glas. Aber ich habe noch nie erlebt, dass auf diese Art nicht alle dreimal so viel trinken wie geplant, und das war bisher immer gut so. Er tut auch nicht weh, der vinho verde. Weder Abends noch am nächsten Morgen. Die zweite Karaffe kommt, es wird dunkel, und die Hackisack-Spieler und der dünne hibbelige Junkie und die Mafia-Kombo sind auch schon durch. Wir bleiben sitzen, ist immerhin schon November, und wer weiß, wie lange der Sommer noch dauert?

Donnerstag, 11. September 2008

Hatari Zaunkönig

Seit ich in Hamburg wohne, habe ich das vermisst: ein richtig gutes Gasthaus. Ein Restaurant, in dem es einfaches, gutes Essen gibt, dazu guten Wein ohne Chichi oder einfach ein großes Bier. Und ich denke dabei nicht nur an Schnitzel, sondern auch an Salate, Gemüse oder Kuchen. Ich denke an dunkles Holz, Aschenbecher, die in einem Tatort sofort als „schwerer, stumpfer Gegenstand“ durchgehen würden, „Für Garderobe keine Haftung“-Schilder, Bierdeckel mit Strichen drauf und echte Bedienungen mit echten Bedienungs-Schuhen, Hemden und Schürzen. Keine Studentinnen, die dauernd alles vergessen! Sondern ältere Frauen, die seit zwanzig Jahren im Geschäft sind und mit knallheißen Tellern beladen durch den Gastraum dampfen wie Ausflugsschiffe. Und das Ganze bitte vollkommen ironiefrei! Ich will nicht, dass die Besitzer auf dem Flohmarkt ein besonders hässliches Ölbild entdecken und dann krähen „Krass ey, wie geil hässlich ist das denn, das kommt über die Bar!“
Die Pommes sollen in diesen Metallschälchen sein und auf kleinen Tellern mit Papierdeckchen serviert werden. Es soll Kroketten geben! Falls es eine Kinderkarte gibt, sollen die Gerichte darauf nach längst vergessenen Zeichentrickfiguren benannt sein. Ich wäre in einzelnen Punkten auch bereit, von dieser Vision abzuweichen. Es wäre z.B. nicht schlimm, wenn doch ein paar Studentinnen bedienen, so lange sie das gut machen. Auch auf die Kinderkarte könnte ich verzichten. Ich wäre ja gar nicht so.

Manchmal wird die Sehnsucht nach diesem Gasthaus zu stark. Dann hilft es ein bisschen, in den Hatari Zaunkönig zu gehen. Hier gibt es Schnitzel, Bratwurst, Sauerkraut, Leberknödel, Flammkuchen und Salate, die wirklich ganz prima sind. Es gibt auch guten Wein und gutes Bier. Die Karten sind in Leder gebunden und sehen eigentlich genau so aus, wie sie müssen. Und nach dem Essen trinkt man keinen Edelbrand für 11 Euro, sondern einen Jägermeister oder Obstler (den man auch dringend braucht, denn obwohl die Portionen manchmal so riesig sind, dass man nur noch lachen kann, schmeckt wirklich bisher alles zu gut, um auch nur den kleinsten Krümel liegen zu lassen). Die anderen Läden an diesem kleinen Platz am Grindel können froh sein, dass der Zaunkönig erst um sechs öffnet und sie bis dahin auch ein paar Gäste abbekommen, sonst hätten sie ein Problem. An den Biertischen hier draußen sitzen bestimmt nicht nur Trainingsjacken, sondern auch nette Leute um die 60, die sich zusammen die Fotos aus dem letzten Wanderurlaub in den Cinque Terre ansehen. Und richtig voll wird es vermutlich erst im Winter, wenn die Lust auf Saumagen und Gulasch steigt.
Zwar reibt einem das Hatari ständig unter die Nase, dass das alles auch irgendwie witzig sein soll, aber so lange ich mich auf meine nette Gesellschaft, mein Bier und meinen Teller konzentrieren kann, ist das nicht so schlimm. Ich will auch gar nicht so streng sein, das Hatari hat mir schließlich schon ein paar Mal aus großer Not geholfen. Und dann denke ich wieder, dass es zwar schön war, in einer Gegend voller Gasthäuser zu leben, aber dass diese Gegend von der Lust auf Knödel und Schweinsbraten abgesehen nicht besonders viele Sehnsüchte befriedigen konnte. Es ist schon alles gut.

Mittwoch, 10. September 2008

Die Cozy Bar

Oft denkt man sich als Großstadtmensch mit Beruf, was solls, wenn alles nichts wird, dann springe ich meinem Chef mit dem nackten Arsch ins Gesicht und mache eine Bar auf.

Die Cozy Bar ist ein Beispiel, das einen von diesem Plan abbringen kann. Denn sie ist so eine feine Sache! Und trotzdem ist hier kaum jemals ein Mensch zu sehen. Täglich warte ich drauf, dass sie geschlossen wird.

Das schönste in der Cozy Bar sind die Tapeten. Außerdem ist schön an ihr, dass sie sich tapfer in eine Gegend wagt, die sonst, was das Nachtleben betrifft, ziemlich lau ist. In dieser Gegend kauft man Kontaktlinsenflüssigkeit oder Petersilie, und wenn man davon Durst bekommt, geht man nach Hause oder trinkt einen Milchkaffee irgendwo anders. Aber einer muss schließlich anfangen, auch in dieser Ecke von Eimsbüttel was los zu machen! Ich finde es nobel von der Cozy Bar, hier zu sein und nicht ein paar Straßen weiter, wo sie vermutlich eine Goldgrube wäre. So ist sie ein netter Ort, um sein Jever zu trinken, während man auf seine Verabredung wartet oder auf die Wäsche im Waschsalon um die Ecke.
Manchmal kommen DJs. Ziemlich oft sogar. Die haben Bärte und legen Metal auf oder andere Sachen, die eigentlich nicht zur Einrichtung passen. Darüber wundere ich mich kurz, bis mir einfällt, dass ich ja auch nicht zur Einrichtung passe, also was soll's? Ich glaube angesichts des miesen Umsatzes, mit dem man die DJs, Barmädchen und leckeren Biere wohl kaum bezahlen kann, die Cozy Bar ist irgend jemandes Hobby. Wer auch immer das ist, ich hoffe, er sucht sich demnächst nicht ein neues Hobby wie World of Warcraft oder Nordic Walking.

Montag, 8. September 2008

Meridian Spa, Eppendorf

Es gibt in Hamburg ein Saunagespenst, das ich noch aus der Zeit kenne, in der ich nur im Bäderland in die Sauna ging. Und obwohl das nur einmal im Monat vorkam, traf ich das Gespenst so oft, dass man leider davon ausgehen muss, dass es täglich unterwegs ist. Das Saunagespenst ist ein sehr, sehr alter Mann, so alt, dass man ihn eigentlich respektvoll, höflich und freundlich behandeln müsste. Und genau das nutzt er aus für seinen Spuk. Er sitzt so da in der Sauna, um ihn herum drei ältere dicke Damen und sieben Männer, und dazwischen zwei nette hübsche junge, und eine davon quatscht er früher oder später unweigerlich an. Immer unter einem harmlosen Vorwand wie Uhrzeiten, Aufgüsse... und wenn sie ihm respektvoll, höflich und freundlich antwortet, dann muss sie sich innerhalb von 20 Sekunden etwas sagen oder fragen lassen, was ihr garantiert den Tag vermiest oder wenigstens den Saunabesuch. Die Ärmste wird zur Gefangenen ihrer eigenen Höflichkeit und kann sich nicht wehren. Mir ist das auch schon zwei mal passiert! Wäre er 50 Jahre jünger, könnte man ihm eine kleben und würde sich später an diesen Moment mit großer Genugtuung erinnern. Mit einem 100jährigen geht das nicht. Man ohrfeigt nicht Ernst Jünger. Einmal habe ich erlebt, dass eins der Mädchen sich anders gewehrt hat als mit Rot werden oder weg gehen, und die durfte sich dann Bemerkungen vom restlichen Saunapublikum anhören, als hätte sie ihn gefragt, ob sie „da mal hinfassen“ dürfte statt umgekehrt. Jetzt könnte man denken, herrlich, diese Frische und Frechheit bei einem so alten Menschen, das ist doch schön! Aber ich weiß nicht.

Neulich war der alte Bock im Meridian. Zum ersten Mal. Ich bin zusammengezuckt und dachte, schön, nun hat die Entspannung hier also auch ein Ende, wirst Du Dir wohl einen anderen Laden suchen müssen – da war er auch schon dran an einer jungen Frau, die da ganz unschuldig saß und einfach nur ihre Ruhe haben wollte.

Er: Fräulein, wissen Sie, ob der nächste Aufguss was mit Zitrus ist?
Sie: Ja, was mit Orange glaub ich.
Er: A propos, können Sie sich ein bisschen mehr in meine Richtung drehen, ich kann das schöne Obst ja gar nicht richtig sehen?
Sie: Harrr. Ich hol jetzt den netten Bademeister da draußen, der schmeißt sie hier ruckzuck raus. Oder wir vergessen das alles ganz schnell. Aber GANZ schnell!

Andere Badegäste: (kurzes Schweigen) (kurzes Schweigen) (Moment, in dem es so scheint, als würde jetzt jemand was sagen, aber dann doch nicht) (Dann lieber längeres Schweigen.)

Da saß er dann noch zwei Minuten und schwitzte, ich hoffe, auch vor Scham.

Niemand hat so was gesagt wie „Na na“ oder „Das muss doch nicht sein, junge Frau“.

Seitdem habe ich das Saunagespenst hier nie wieder gesehen.

Dafür liebe ich das Meridian. Das erscheint manchen vielleicht als eine ziemlich niedrige Messlatte für die Liebe zu einem Spa, aber ich hab ganz anderes erlebt! Ich bleibe also dabei, dass ich dafür das Meridian liebe und dafür, dass es immer genug Decken, Liegen, X-Trainer, Plätze im Pilates-Kurs, Spinde, Duschen, Klopapier, Platz, Licht und Luft gibt.

Aber wenn ich trotz meiner großen rundum-Zufriedenheit einen Wunsch äußern könnte – nur einen – dann würde ich mir wünschen, dass weniger Mitglieder auf die Idee kämen, im Sommer nackt und im Schneidersitz eine warme Mahlzeit auf ihrer Liege zu verzehren. Das wär schön. Aber wenn es sein muss – gerne weiter, ich kann auch damit leben, ich wollte ja nur... ach, muss auch nicht jeder Traum in Erfüllung gehen.

Mittwoch, 3. September 2008

Da Tommaso

Jeden Montag gibt es am Eppendorfer Weg Scampi, so viel man schafft. Damit ist eigentlich schon alles gesagt, denn der Rest ergibt sich mit unerbittlicher Gewissheit daraus: dass ich mich jedes Mal mit einem Eiweißschock nach Hause schleppe. (Das kann man mit mir nicht machen, mir so viel zu Essen zu geben, wie ich will! Ich bin ein eiszeitliches Tierchen, das sich bei solchen Gelegenheiten vollfrisst bis zum Platzen!) Dass da außer mir noch ganz viele Freiscampigesichter auftauchen. Die natürlich alle bloß verfressene Gierschlünde sind, ganz anders als ich. Dass es brechend voll ist und jeder Zentimeter Bierbank ausgenutzt wird. Dass man deshalb manchmal Glück hat und neben Leuten sitzt, die einem anbieten, man könnte ihr 200 Jahre altes Ferienhaus auf Elba mieten, und manchmal neben zwei Krankenschwestern, die zwei Stunden lang nur fürchterlich laut schimpfen, wie blöd alle anderen Krankenschwestern im UKE außer ihnen sind. Die Ärzte auch. Alle!

Zum Essen gibt es Weißwein und Wasser aus Gläsern, die immer schmieriger werden, je länger die Sause andauert. Die Bedienung schiebt sich mit riesigen Platten voller Fühler und Beinchen durch die Menge und hält alle auf diese rauhbeinige Art in Schach, die auch Mütter auf Kindergeburtstagen an sich haben. Und Stoppessen wär vielleicht jetzt keine schlechte Idee, wenn ich nicht in den nächsten zehn Minuten erledigt sein will. Kann nicht bitte jemand sagen, ich soll aufhören?

Die Scampi sind übrigens nicht die besten der Welt. Sie sind dicke, feste Biester und liegen in einer öligen Sauce aus Oliven und Tomatenstücken, die das Schälen auch nicht leichter macht und sich für immer an mein Lieblingshemd angesaugt hat. Aber es sind Scampi, Berge davon, sie sind frisch und sehen so hübsch aus! Und obwohl wir alle, wenn es drauf ankommt, gerne versichern, dass wir natürlich lieber weniger essen und trinken, aber dafür sehr gut, statt uns mit irgendwas vollzustopfen, habe ich solche Tage, an denen ich rumferkeln will. Dann brauche ich genau diese Scampi, und zwar so viele, bis ich über den Berg aus Schalen nicht mehr drübergucken kann. Biestige Krankenschwestern? Wo?

Montag, 1. September 2008

Flohmarkt am Lehmweg

Es gibt Flohmärkte, auf denen ist man sich nur am Ärgern. Da steht man an seinem kostbaren Samstag um zehn auf, verkneift sich alles nette Einkaufen und verschiebt Lebensmittel, Body Lotion usw. auf später und damit auf Penny, steigt am Ende sogar noch aufs Fahrrad oder in die Ubahn und fährt zum Flohmarkt. Nur, um da nichts anderes zu finden als Legionen von windigen Gestalten, die ihre 200 alten Autoradios verkaufen, Menschen, die gebrauchte Deoroller loswerden wollen und Profis, die vor jede Beschreibung ihrer Wahre das Wort „original“ hängen. Wie in „Original 90er“ oder „Original versilbert“ oder „Original angekokelt“. (Und das ist nicht gelogen, einmal habe ich gehört, wie ein Händler einer Studentin einen original angekokelten Ikea-Stuhl verkaufen wollte! Und ich schwöre, sie hat drüber nachgedacht!)

Der Lehmweg-Flohmarkt ist besser. Zwar ist die Profi-Dichte hoch (ist das so teuer hier?), aber die Profis sind weder größenwahnsinnig noch zu wild auf die Farbe orange. 60 Euro für einen hübschen geschmiedeten und pastellig lackierten Kronleuchter, drei Euro für gläserne Fliegenpilze, die dieses Jahr an den Baum kommen und bis dahin an den Rosmarin, und 80 Euro für einen hundert Jahre alten Biergartentisch, der nicht nur perfekt zu meinen uralten Biergartenstühlen passt, sondern auch aus dem Rumpelbalkon endlich einen Platz macht, an dem ich gerne bin (und angetrieben von Rosé auf Eis diesen Artikel schreibe). Eine Frau wollte für eine nicht so dolle Opernplatte 26 Euro, aber vielleicht hatte sie eine Wette verloren und konnte nicht anders, wer weiß?
Eigentlich müsste es hier Prellungen geben bei den tollen Sachen, aber die Leute treibt vielleicht auch der Sportsgeist hierher, irgend einen echten Schatz für fünf Euro zu schießen, und das passiert auf Hamburgs Flohmärkten wohl nur noch selten. Aber eine Lampe kostet sogar im Baumarkt Geld. Ich kann nicht verstehen, wieso man um kurz vor vier noch solche Brummer findet und die Leute nicht alles kurz und klein gekauft haben!

Davon abgesehen die einzigen Tiefpunkte:
- das schon aufgetaute grüne Slush am Crepestand
- ein Scottie, der mich von dem Plan abgebracht hat, einen zu besitzen und täglich zwei Stunden lang laut über ihn zu lachen
- dass der Stand mit dem riesigen schweinchenförmigen Schneidebrett vom letzten Mal nicht wieder da war

Und der Lehmweg-Flohmarkt hat noch einen großen Vorteil: der nächste Cheesie ist immer nur zwei Minuten entfernt. Und das am Samstag... mal drüber nachdenken!

Samstag, 30. August 2008

Vienna

Will ich am Freitag lieber um acht, um neun oder um zehn essen? Das weiß ich doch jetzt noch nicht! Und das Vienna vesteht mich. Es verlangt von seinen Gästen nicht, sich Wochen im Voraus zu überlegen, wann sie Lust auf Hirschgulasch und Serviettenknödel haben, und nimmt einfach keine Reservierungen an. Gar keine, von niemandem! Alle müssen warten, bis sie dran sind und bis etwas frei wird. Und das kann dauern, denn die Bedienungen denken nicht im Traum daran, irgend wen zu scheuchen, nur weil hier vorne an der Bar jemand schon kaum noch stehen kann vom vielen Warteprosecco auf leeren Magen. Wer deshalb anfängt zu meckern, ist eben falsch hier. Was viele gute Hamburger Lokale so verdirbt – die blöden Hamburger Gäste – bleibt von ganz alleine weg, denn die Blöden haben keine Lust, für eine Weile nett herumzustehen, sich mit den anderen Wartenden freundlich zu beschnuppern, nebenbei Fußball zu gucken und jemandem weiter hinten sein Bierchen durchzureichen. Die hätten außerdem fieberhaft damit zu tun, aufzupassen, dass niemand vor ihnen einen Tisch bekommt, der nach ihnen gekommen ist. Dabei kriegen die Frauen hinter der Bar das wunderbar alleine hin, ohne dass man sie giftig mustert, und sind so dermaßen gerecht, dass auch die ältesten Freunde – die, die hier jeden mit Handschlag begrüßen – warten müssen. Und warten. Und warten.
Man kann die Zeit natürlich auch darauf verwenden, zu versuchen, sich zwischen den ca. acht Lieblingsessen auf der Karte zu entscheiden. Genau wie in Österreich sind dabei auch gerne mal Gerichte mit Innereien, mit den die vielen schnäkigen Esser heute nicht viel anfangen können. Habe ich die eben für mich, um so schöner. Und schnäkige Freunde müssen trotzdem nicht traurig sein, für die gibt es immer noch genug Essen, das Applaus verdient.

Einmal war ich mit meinen kritischen und sehr hungrigen Eltern da, zu Besuch aus dem Süden, und ausgerechnet an dem Tag mussten wir über eine Dreiviertelstunde warten, weil es eine riesige Geburtstagsgesellschaft gab. Trotzdem war ich nicht eine Sekunde nervös. Denn ich wusste, ich kann mich ganz sicher darauf verlassen, dass alles wunderbar wird. Und genau so war es. Ich will gar nicht über buttriges Dies oder auf den Punkt gedingstes Das schreiben. Alles ist genau so, wie es sein muss. Die Bedienungen wollen nie beweisen, dass sie die besonderste, zackigste und durchgeschulteste Bedienung der Welt sind, sie sind einfach immer da, wenn man sie braucht, und nie, wenn man ohne sie auskommt. Sie vergessen nichts und bedienen die Frau am Nebentisch, die nur Suppe und ein Glas Wein bestellt, genau so wunderbar wie die Obstbrandkenner da drüben. Als wir zwei Stunden später gehen, steht draußen eine niedlich angeschickerte Frau und schnorrt eine Zigarette vom Koch, der auch gerade sein Rauchpäuschen macht. Dazu erzählt sie ihm, dass das hier das beste Lokal in ganz Hamburg ist. Das allerbeste! Das allerallerbeste! Er findet das peinlich, und ich finde, sie hat vielleicht ja Recht.

Dienstag, 26. August 2008

Eimsbütteler Park

Von hinten sehe ich scheinbar aus wie eine Frau, die auf Off-Schulmedizin-Mittel vertraut. Einmal, als ich hier morgens laufen war, kam hinter mir einer angekeucht und rief mir im Überholen zu: „Danke für den Tipp mit dem Eigenurin, hat super geholfen!“ Kaum an mir vorbei, wurde er knallrot, lief aber tapfer noch fünf Runden. Vielleicht dachte er sich, wenn er jetzt nach Hause abbiegt, dann könnte man meinen, Na sooo super kann das mit dem Eigenurin ja nicht gewesen sein, wenn nach dreihundert Metern schon wieder Schluss mit Joggen ist.

Auf einer Küchenparty hat mir mal jemand erzählt, dass dieser Park früher eher übel war. Müll, Unkraut, geklaute Taschen und harte Drogen. Das soll dann den Anwohnern gestunken haben, sie wollten, dass ihr Park wieder schön wird. Das haben sie geschafft. Heute kann man ohne böse Folgen nachts um zwei durch den Park gehen. Bestimmt auch nackend, wenn's drauf ankommt! Alle geben sich Mühe, damit der Park so bleibt, wie er jetzt ist. Ich habe schon Besucher dabei beobachtet, wie sie anderer Leute Grillmüll zusammen sammelten und in Plastiktüten mit nach Hause nahmen. Niemand muss sich auf dem Weg um den kleinen Weiher irgendwelche dummen Sprüche von Dosenbier-Banden anhören. Und wo in diesem Teil Eimsbüttels was mit Drogen geht, weiß ich nicht, aber jedenfalls nicht hier.

Obwohl er jetzt so viel idyllischer ist als früher, ist er doch ganz klar ein umtriebiger Großstadtpark. Auf einer x-beliebigen Runde um den kleinen Ententeich kann man unter anderem sehen: die Jungs von der Lachgesellschaft (stehen im Kreis und rufen „ha-ha-ha-ha-ha-ha-ha“), den Bouleclub (die Hälfte der Mitglieder haben was aus Wolle an), zwei Kinder mit einem ferngesteuerten Boot, acht Kinderwagen, zwei lesende Mädchen (eine was aus der Edition Suhrkamp, eine die Brigitte Young Miss), drei Picknicks, zwei davon mit Einweggrill, eine kleine friedliche Mofagang und viele spazieren gehende Pärchen, die sich, wenn sie schlau sind, vorher in der kleinen Konditorei Kuchen geholt haben. Einmal saß auf dem Rasen eine Familie und hatte ihr Sonntagsessen dabei samt Brathähnchen, Kartoffelbrei und Nachtisch. Auf kleinstem Raum ist hier alles, was sonst auf eine Riesenfläche verstreut stattfindet. Normale Leute aus dem Viertel, nette Freaks, Kleinkinder, Jugendliche, Omis, Hunde, Enten, Wasser, Büsche, Wiesen, Schattenboxer, Bäume und seit etwa zwei Jahren auch ein Café. Es ist wie auf einem Wimmelbild von Ali Mitgutsch.

Seit das kleine vergammelte Klohäuschen an der Gärtnerstraßenseite als adrettes Café wiedergeboren wurde, muss man sich noch nicht mal was zu trinken mitbringen, wenn man zufällig eine Vorliebe dafür hat, abends auf dem kleinen Holzponton zu sitzen, zu lesen und den Enten beim Einschlafen zuzugucken. Früher war ich hier manchmal mit einer halben Flasche Rotwein, einer Decke und einem Buch. Damals musste ich dazu nur schräg über die Straße, und wenn ich beim Ankommen merkte, dass ich aus Versehen die Zeitung von gestern dabei hatte oder dass der Wein hinüber war, dann hat mich meine Dusseligkeit fünf Minuten gekostet. Wenn das Café Glück hat, dann sind die Parkbesucher von heute genau solche Trienchen wie ich damals und verbammeln ständig ihre Getränke. Wenn es Pech hat, dann will hier immer nur der Lachclub aufs Klo. Ich wünsch ihm Glück!

Montag, 25. August 2008

Goldbekmarkt

In Winterhude wohnen viele Menschen, denen egal ist, dass man am anderen Ende der Stadt bis elf Uhr früh tanzen und trinken kann und dass dieser Teil des Samstags dort noch zum Freitag gehört. Während anderswo Leute gerade ihren letzten Rest Würde verlieren, indem sie den Taxifahrer um eine Zigarette anschnorren, lassen andere sich auf dem Goldbekmarkt die Käsesorten erklären. Niemand soll mich falsch verstanden: Auf dem Goldbekmarkt ist es schön! Es gibt gute Blumen, guten Käse, gutes Fleisch, guten Fisch und gutes Brot dort. Die Leute, die hier langschlendern, sind bestimmt gute Nachbarn, haben ihre Finanzen im Griff, kaufen im Zweifel lieber Bio und fahren in den Ferien nicht zum Bumsen nach Thailand. Mancher würde gerne hier etwas über Wachstuchjacken oder Prada-Gummistiefel lesen! Aber man soll ja nicht lügen, und genau das täte ich, wenn ich jetzt schreiben würde, dass auf dem Goldbekmarkt nur Bunte-Leser sind.

Aber wenn ich jetzt so richtig verkatert wäre – ich sage nur, wenn – also gerade erst wieder am Ausnüchtern, aber schon mit der Ahnung im Kopf, dass das kein guter Tag wird. Nur mal angenommen! Und dann würde mich ein entnervter Taxifahrer hier rausschmeißen, weil ich nicht imstande wäre, meine Adresse so zu sagen, dass er mich verstehen würde. Und ich würde das alles sehen. Durch mein blaues Auge. Dann wäre dieser Markt genau das, was mir gerade noch gefehlt hätte.

Diesen Samstag bin ich ausgeschlafen, frisch geduscht, nicht die Spur von verkatert und zum ersten Mal seit langer Zeit mal wieder hier. Und gleich am Eingang zum Markt nehme ich mir vor, bis zum nächsten Mal nicht wieder so lange zu warten: ach ja, da war ja der Bratwurststand! Richtig gute Würstchen werden hier gebraten, und dass man jeden Samstag rituell eins zu essen hat, nimmt einem die Entscheidung, ob man sie sich verkneift oder nicht. Sie gehören dazu! Und mehr ist nicht zu sagen. Gegenüber ein Blumenstand, an dem ich schon zwanzig mal fast Blumen gekauft habe, aber eben nur fast, deshalb kann ich nichts darüber schreiben, ob sie lange halten (oder was man sonst noch so über Blumen schreibt). Aber sie sehen hübsch aus, und davor stehenzubleiben und sich erst nicht entscheiden zu können und dann zu beschließen, dass man auf dem Rückweg bestimmt diesmal wirklich ganz echt welche mitnimmt, gehört auch zu meinen Marktritualen. Dann weiter: Käse fast, aber Gemüse immer. Beim Käse war ich schon oft wirklich entschlossen, aber hatte immer das Pech, einen echten Kenner vor mir in der Schlange stehen zu haben, der 10 Minuten für seinen Kennerkäsekauf braucht.
Immer kaufe ich so viel Gemüse, dass ich mich damit auf sechs Tage im Vorraus festlege, was ich esse. Was immer schief geht, denn spätestens, wenn ich zum zehnten Mal den Kühlschrank aufgemacht habe und die Rübchen oder der Kürbis haben mich angestarrt, dann fühle ich mich, als hätte ich zehn Mal Rübchen und Kürbis gegessen und müsste es jetzt deshalb nicht zum elften Mal tun. Aber ich kann nicht anders. Wenn ich fünf Meter schönstes Gemüse und Obst vor mir liegen habe, dann kann ich nicht mit einem Pfund Bohnen und ein bisschen Thymian nach Hause gehen. Also kaufe ich auch noch Estragon und Borretsch (nur, weil sie da sind), und dann brauche ich ein Gemüse, zu dem sie passen, das ist dann der blöde Kürbis und dann noch etwas und noch etwas, und als ich wieder klar sehe, ist meine Tasche so schwer, dass ich Schlagseite habe. Das Gute daran ist aber: vom Gemüse aussuchen habe ich kohlschwarze Finger, und mit dem halben Alten Land unter den Nägeln besteht wenigstens keine Gefahr, dass ich meinen Kaufrausch weiter trage in die Läden am Poelchaukamp. Was also jetzt? Doch noch Kiez?

Sonntag, 24. August 2008

Der Bio-Pommesstand am Chilehaus

Donnerstag ist Pommestag. Jeden Donnerstag ist Markt auf dem Parkplatz am Chilehaus, und wer in der Nähe arbeitet, hat Glück: Die Bio-Imbissbude am oberen Ende macht richtig gute Pommes. Mit dem Prädikat „das beste XY der Stadt“ ist man in Hamburg schnell. Ich bin ein bisschen vorsichtiger. Wer weiß, ob es nicht irgendwo in Harburg oder Poppenbüttel bessere gibt? Trotzdem: falls ich so jemand wäre, der ständig findet, dass irgendwas das beste der Stadt ist, dann würde ich sagen, die besten Pommes der Stadt gibt es hier. Sie sind knallheiß (da hört es bei vielen anderen schon auf!), gerade richtig dick und lang, haben eine dünne, knusprige Hülle und sind in der Mitte schön cremig. Und die Portion ist genau so groß, dass ich keine Fritte mehr und keine weniger wollen würde. Dass sie dazu auch noch aus Biokartoffeln gemacht werden und dass der Mann hinterm Tresen aussieht wie ein freundlicher Grundschullehrer, der einem bestimmt NIE was Ungesundes verkaufen würde, macht alles noch schöner. Das letzte Mal, als ich nachgesehen habe, hieß die Fritteuse „Fri-Fri“. Wie Frou-Frou!

Biopommes sind zwar besser als Nicht-Bio-Pommes. Aber der Unterschied ist kein Vergleich zu dem, den man bei der guten Biomayonnaise und den Biowürstchen schmeckt. Es gibt Lammbratwürstchen, die zwar ein bisschen streng schmecken und sich vor allem mit dem Senf beißen, aber trotzdem keine Spur von dem unguten Gefühl hinterlassen, das man manchmal nach einer normalen Weihnachtsmarktbratwurst hat. Das hier ist Bratwurst für Erwachsene! Oder die Currywurst, die hier mit Curryketchup und Currypulver gemacht wird statt mit dieser fiesen braunen Sauce, auf die sich viele Frittenbuden zu Unrecht so viel einbilden.

Wie sich das für eine Bio-Imbissbude gehört, gibt es auch eine Gemüse-Reis-Pfanne (die ich nie essen würde, so lange das bedeutet, keine Pommes zu essen) und Bio-Limo. Im Winter wird es kuschelig, dann drängelt sich die Kundschaft an den zwei kleinen Tischchen unter der Plane zusammen und pustet auf ihre Pommes und ihren alkoholfreien Glühwein.

Was gibt es sonst noch auf dem Markt? Einen Bonbonstand, der genau so stinkt wie alle Bonbonstände auf allen Märkten des Landes. Eine Fischbude, an der man außer Fischbrötchen und frischem Fisch auch ungepulte Krabben kaufen kann. Die kann man dann mitnehmen in Richtung Speicherstadt, sich auf das Mäuerchen am Kanal setzen und eine schöne Sauerei veranstalten. Dann gibt es einen Stand, der nachgemachte Tupperware verkauft (das MUSS eine Geldwaschanlage sein, ich hab noch nie jemanden was kaufen sehen), einen Blumenstand, zwei Hofmetzger-Stände, einen Bäcker, einen wirklich, wirklich schlechten portugiesischen Imbiss, einen Hähnchenstand mit einer langen Schlange davor, einen Stand mit nach Knoblauch riechenden Pasten und einen zweiten Bio-Imbiss, der aber härter drauf ist als unsere Pommesbude. Dort gibt es nur Bratlinge mit Joghurtsauce, Poster giften gegen das Essen von Fleisch, der Mann hinterm Tresen sieht immer aus, als ob er friert, und gegen unsere Bude hat er leider keine Chance.

Donnerstag, 21. August 2008

Die Kleine Konditorei, Lutterothstraße

Ich hatte keine Ahnung davon, dass es die kleine Konditorei gibt und was für ein Glück wir alle haben, dass das so ist, bis ich genau in das Haus gezogen bin, in dem die Backstube ist. Mein Vormieter hatte mir noch erzählt, wie schön es wäre, Sonntags früh um sechs nach Hause zu kommen und an die Nebentür im Hausflur zu klopfen, um ein paar frische Brötchen zu bekommen. Ich dachte, naja, Brötchen, nie verkehrt. Da hatte ich noch keine Ahnung, wie gut die Brötchen sind, die man hier bekommt. Und nicht nur die Brötchen: alles ist gut! Wirklich alles! Ich kann gut backen. Wirklich wahr! Mein Kuchen leben selten länger als 24 Stunden, und meistens werde ich nach Rezepten gefragt. Weil ich weiß, wie wenig Arbeit ein wirklich guter Kuchen macht, ärgert es mich immer fürchterlich, in einer Bäckerei schlechten Kuchen zu kaufen. Tatsächlich können fast alle zwar Brot, aber keinen Kuchen. Hier ist das anders: Brot in der kleinen Konditorei ist eine Freude, Kuchen eine Wucht. Vor allem die Blechkuchen, aber das sage ich nur, weil ich kein Tortenfreund bin und die Torten noch nicht versucht habe. Trotzdem würde ich auch für die blind meine Hand ins Feuer legen. Die Baguettes! Meilenweit entfernt von diesen verlängerten Brötchen, die man anderswo bekommt. Die Nussbrioches, für die ein gegen Nüsse allergischer Freund angeblich schon ein paar mal einen Atemstillstand riskiert hat. Die Pralinchen, die meine Oma jedes Jahr zu ihrem Weihnachtsgeschenk dazu bekommt! Vor allem die, die zum Teil aus Honigkuchen bestehen.

Aber die Backwaren sind noch längst nicht alles, wofür man die kleine Konditorei, Entschuldigung, Die Kleine Konditorei loben muss. Die Verkäuferinnen sind freundlich und zackig und siezen ihre Kundschaft. Es gibt außer Brot und Kuchen noch eine völlig vernünftige und unversnobte Auswahl an anderen Dingen, die die Kunden möglicherweise für ihr Sonntagsfrühstück noch brauchen könnten (z.B. Tageszeitungen, Schinken, Käse, Butter, Milch, Cola, Yogurette, Mohrenköpfe, einzeln in Pergamentpapier gewickelte Eier). Inzwischen bilden sich am Wochenende Schlangen vor der Tür, die man sonst nur aus DDR-Dokumentationen kennt, aber das ist nicht schlimm, denn man hat in der Schlange viel zu gucken (Hunde, nette Nachbarn, hat der Typ da seinen Schlafanzug unterm Mantel an? Schon, oder? Sieht jemand, dass ich meinen auch anhabe?), man weiß, dass die Frauen hinterm Tresen auf Zack sind, man kann den schönen Zimtgeruch tief einatmen (so riecht Vorfreude!), und außerdem hat DKK ein Einsehen und stellt für die Warteschlange ein Tischchen mit einer großen Kanne Kaffee auf, an der man sich bedienen kann. Während die einen knapp vor der Tür warten, fast schon dran, kommen die anderen mit ihrer blauen Tüte voll guter Sachen nach draußen, und man schmunzelt sich zufrieden an. „Wir wissen, was gut ist!“

Irgendwann hatte sich das mit der Zwischentür im Hausflur leider erledigt: Die Kleine Konditorei hat umgebaut, und die Tür wurde dicht gemacht. Die Umbauten dauerten ca. vier Monate, und leider bin ich anfangs auch im vierten Stock aus dem Bett gefallen, weil die Bauarbeiter natürlich morgens um sieben mit den allerlautesten Arbeiten anfingen. War dann das ganze Haus wach, wurde es schlagartig ruhig. Das hat mir gestunken, ich habe eine Email geschrieben und eine sehr nette Antwort bekommen. Von da an war es nie wieder so früh so laut. Und zwei Wochen später hat der nette Bäcker sich noch mal erkundigt, wie es denn mit der Nachtruhe so wäre. In einer Welt, in der viele Leute sich moralisch überlegen fühlen, nur weil sie früher aufstehen, ist so etwas selten und wunderbar. Wie alles an dieser besten Bäckerei der Stadt.

Strandperle im Oktober

Wenn man im Oktober nach Hamburg zieht, noch nicht weiß, wie einem geschieht und trotzdem schnell das Gefühl haben will, hier zu Hause zu sein, dann habe ich einen Vorschlag: an einem nieseligen Tag mit der U3 bis Landungsbrücken. Decke und Schirm nicht vergessen. Schon in der U-Bahn treibt es einem angesichts der Aussicht die Tränen in die Augen, jedenfalls, wenn man aus Richtung Rathausmarkt kommt. An der Station ein paar dicke Knollen Astra kaufen. Dann per HVV-Schiffchen stromabwärts bis Övelgönne. Egal, wie das Wetter ist: unbedingt draußen stehen, ganz vorne, wo jederzeit Gefahr besteht, dass man patschnass wird, wenn der Fluss das so will. Am Museumshafen aussteigen, die Ausflugslokale mit den Plastikstühlen links und rechts ignorieren und über den Strand bis zur Strandperle stapfen. Die hat um diese Jahreszeit schon zu, deshalb auch das mitgebrachte Astra! In den nassen Sand setzen, die Decke um sich herum mummeln, den Schirm aufspannen, das erste Bierchen öffnen und jetzt eine Stunde nur noch Schiffe gucken und freuen. Laufen dann Spaziergänger vorbei, dann sehen sie einen da sitzen und denken sich: tja, so sind wir Hamburger, 12 Grad und Nieselregen, aber wir sitzen am Strand, als wär's Italien. Jedenfalls kann man sich einbilden, sie würden das denken. Und dann setzt es ein, dieses Gefühl, in einer Stadt zu wohnen, in der es Klischees gibt, denen man sehr gerne entspricht.

Das ist jetzt Jahre her, und wenn ich so nach draußen in den Regen gucke, dann denke ich, das würde ich auch gerne mal wieder machen. (Auch, wenn ich inzwischen gelernt habe, dass man Astra kennerhaft abzulehnen hat, wenn man nicht sofort als Szenedepp gelten will. Davon keine Ahnung zu haben und sich einfach über eine neue Sorte Bier in hübschen Flaschen zu freuen, das es zu Hause nicht gab – das war schön.)

Mittwoch, 20. August 2008

Innocentiapark

In Hamburg könnte man manchmal denken, Parks sind vor allem zum Joggen da. Dieser hier ist eine Ausnahme: Der Innocentiapark ist der einzige Hamburger Park, um den man lieber von außen herumjoggt statt mittendurch.
Ein Grund könnte sein, dass es innen zu sonnig ist – der Park besteht aus viel grüner Wiese und wenig Baum, also viel Aussicht, wenig Schatten. Noch ein Grund, lieber außen zu laufen: Die Runden sind sonst sehr klein. Nicht direkt so klein, dass man einen Drehwurm bekommt, aber doch mit 400 Metern nah dran. Und langweilig wird es auch, denn man kann auf der Innenrunde fast die ganze Zeit die komplette Strecke überblicken. Und will man mitten in einem schönen englischen Park an ein Sportstadion, Bundesjugendspiele usw. erinnert werden? Ich nicht!
Außen dagegen: man läuft im Schatten auf knirschendem Splitt und über Baumwurzeln. Vorbei an zuckergussverzierten kleinen feinen Villen, in denen nette Leute zu wohnen scheinen: Es duftet aus gekippten Küchenfenstern nach gutem indischem Essen, und kaum jemand fährt ein SUV. Wenn es im Herbst früher dunkel wird, kann man im Vorbeirennen den Leuten auf die Bücherregale und die Orchideentöpfe gucken. Und falls andere Jogger unterwegs sind, sind sie langsam genug, um nicht ständig von hinten angekeucht zu kommen und mich pro Runde zweimal zu überholen, nur um mich zu demoralisieren. Eine Runde dauert zwischen vier und fünf Minuten, und weil der Park leicht abschüssig verläuft, geht es auf jeder Runde auf zwei Seiten leicht bergan und auf zweien leicht bergab. Darauf kann man sich dann während der winzigen bergan-Anstrengung freuen, jede Runde zerfällt in zwei okaye und zwei sehr gute Teile. Und die Aufteilung der Strecke in viele kleine Mini-Aufgaben hilft, das wissen alle, die wie ich eher aus Vernunft joggen als „aus Spaß“.
Im Inneren des Parks bin ich, wenn ich nicht joggen will. Dort sieht man eher nordic walkende ältere Frauen. Wie dünn manche davon sind! Ich kann es nicht fassen. Ein lebenslanges Broccoli- und Fisch-Regime steckt vermutlich dahinter. Jedenfalls bei denen, die allein walken. Die etwas gemütlicher aussehenden sind dagegen meistens zu zweit unterwegs. Ich kann verstehen, wieso die Dünnen allein ihre Runden drehen müssen: Neben so einer 60jährigen Gazelle will man als Freundin nicht gerne beim Walken gesehen werden, weil man ja befürchten muss, dass sich die Leute denken „Die eine hat's nötig, die andere nicht“ oder auch „wie nett, dass die Dünne ihrer dicken Freundin Gesellschaft leistet, Motivation und so, sonst würde die sich vermutlich überhaupt nicht aufraffen können und nur noch fernsehen“. Egal ob rundlich oder drahtig, als Walkerin in dieser Gegend scheint man mindestens einmal im Monat zum Friseur zu gehen.
Außer den Walkerinnen gibt es ein paar schöne Hunde, die immer wieder hysterisch vor Glück über die große Wiese in der Mitte des Parks fegen. Auch die erinnern einen daran, dass wir hier in Harvestehude sind und nicht am Berliner Tor: niemand brüllt den Hunde ständig Kommandos zu, nur um dem ganzen Park zu zeigen, wer hier Herrchen im Haus ist. Auf den Bänken sitzen alte Leute und beobachten das alles – die Walkerinnen, die Hunde und die Kinder drüben auf dem Spielplatz – mit großem Wohlwollen. Ich kann mich dunkel daran erinnern, dass in einer Bella Block-Folge eine Leiche im Innocentiapark gefunden wurde. In Wirklichkeit passiert hier mit Sicherheit nie irgend etwas, da bin ich ganz sicher. Das Skandalöseste in diesem Park: der taufunkelnde Grillmüll am Morgen nach einem sonnigen Samstag. Dann liegen auf der Wiese leere Plastikflaschen, Bierdosen und schmierige Einweggrills, und die Labradore freuen sich über Würstchenreste. Auf den Bänken ist man behaglich entrüstet: „Guck mal, alles voll.“ „Jaja.“ „Und da drüben auch.“ „Schlimm schlimm.“ „Dabei stehen hier überall Mülleimer.“ „... pierkörbe, ja. Sollte man meinen.“ „Da kann man doch...“ „Eine Un-ver-schämt-heit.“ Aber selbst den Grillmüll umweht ein Hauch von besserer Gegend: Rund um die Mülleimer stehen zwischen Bierdosen Cremantflaschen, und neulich, als ich an einem Maimorgen unterwegs war und mir bei jeder Runde dachte: Was riecht denn hier so? Ist das... ist das... war nach der fünften Runde eindeutig klar: ja, im Innocentiapark riechen die Büsche morgens nach Spargelpipi.