Samstag, 30. August 2008

Vienna

Will ich am Freitag lieber um acht, um neun oder um zehn essen? Das weiß ich doch jetzt noch nicht! Und das Vienna vesteht mich. Es verlangt von seinen Gästen nicht, sich Wochen im Voraus zu überlegen, wann sie Lust auf Hirschgulasch und Serviettenknödel haben, und nimmt einfach keine Reservierungen an. Gar keine, von niemandem! Alle müssen warten, bis sie dran sind und bis etwas frei wird. Und das kann dauern, denn die Bedienungen denken nicht im Traum daran, irgend wen zu scheuchen, nur weil hier vorne an der Bar jemand schon kaum noch stehen kann vom vielen Warteprosecco auf leeren Magen. Wer deshalb anfängt zu meckern, ist eben falsch hier. Was viele gute Hamburger Lokale so verdirbt – die blöden Hamburger Gäste – bleibt von ganz alleine weg, denn die Blöden haben keine Lust, für eine Weile nett herumzustehen, sich mit den anderen Wartenden freundlich zu beschnuppern, nebenbei Fußball zu gucken und jemandem weiter hinten sein Bierchen durchzureichen. Die hätten außerdem fieberhaft damit zu tun, aufzupassen, dass niemand vor ihnen einen Tisch bekommt, der nach ihnen gekommen ist. Dabei kriegen die Frauen hinter der Bar das wunderbar alleine hin, ohne dass man sie giftig mustert, und sind so dermaßen gerecht, dass auch die ältesten Freunde – die, die hier jeden mit Handschlag begrüßen – warten müssen. Und warten. Und warten.
Man kann die Zeit natürlich auch darauf verwenden, zu versuchen, sich zwischen den ca. acht Lieblingsessen auf der Karte zu entscheiden. Genau wie in Österreich sind dabei auch gerne mal Gerichte mit Innereien, mit den die vielen schnäkigen Esser heute nicht viel anfangen können. Habe ich die eben für mich, um so schöner. Und schnäkige Freunde müssen trotzdem nicht traurig sein, für die gibt es immer noch genug Essen, das Applaus verdient.

Einmal war ich mit meinen kritischen und sehr hungrigen Eltern da, zu Besuch aus dem Süden, und ausgerechnet an dem Tag mussten wir über eine Dreiviertelstunde warten, weil es eine riesige Geburtstagsgesellschaft gab. Trotzdem war ich nicht eine Sekunde nervös. Denn ich wusste, ich kann mich ganz sicher darauf verlassen, dass alles wunderbar wird. Und genau so war es. Ich will gar nicht über buttriges Dies oder auf den Punkt gedingstes Das schreiben. Alles ist genau so, wie es sein muss. Die Bedienungen wollen nie beweisen, dass sie die besonderste, zackigste und durchgeschulteste Bedienung der Welt sind, sie sind einfach immer da, wenn man sie braucht, und nie, wenn man ohne sie auskommt. Sie vergessen nichts und bedienen die Frau am Nebentisch, die nur Suppe und ein Glas Wein bestellt, genau so wunderbar wie die Obstbrandkenner da drüben. Als wir zwei Stunden später gehen, steht draußen eine niedlich angeschickerte Frau und schnorrt eine Zigarette vom Koch, der auch gerade sein Rauchpäuschen macht. Dazu erzählt sie ihm, dass das hier das beste Lokal in ganz Hamburg ist. Das allerbeste! Das allerallerbeste! Er findet das peinlich, und ich finde, sie hat vielleicht ja Recht.

Dienstag, 26. August 2008

Eimsbütteler Park

Von hinten sehe ich scheinbar aus wie eine Frau, die auf Off-Schulmedizin-Mittel vertraut. Einmal, als ich hier morgens laufen war, kam hinter mir einer angekeucht und rief mir im Überholen zu: „Danke für den Tipp mit dem Eigenurin, hat super geholfen!“ Kaum an mir vorbei, wurde er knallrot, lief aber tapfer noch fünf Runden. Vielleicht dachte er sich, wenn er jetzt nach Hause abbiegt, dann könnte man meinen, Na sooo super kann das mit dem Eigenurin ja nicht gewesen sein, wenn nach dreihundert Metern schon wieder Schluss mit Joggen ist.

Auf einer Küchenparty hat mir mal jemand erzählt, dass dieser Park früher eher übel war. Müll, Unkraut, geklaute Taschen und harte Drogen. Das soll dann den Anwohnern gestunken haben, sie wollten, dass ihr Park wieder schön wird. Das haben sie geschafft. Heute kann man ohne böse Folgen nachts um zwei durch den Park gehen. Bestimmt auch nackend, wenn's drauf ankommt! Alle geben sich Mühe, damit der Park so bleibt, wie er jetzt ist. Ich habe schon Besucher dabei beobachtet, wie sie anderer Leute Grillmüll zusammen sammelten und in Plastiktüten mit nach Hause nahmen. Niemand muss sich auf dem Weg um den kleinen Weiher irgendwelche dummen Sprüche von Dosenbier-Banden anhören. Und wo in diesem Teil Eimsbüttels was mit Drogen geht, weiß ich nicht, aber jedenfalls nicht hier.

Obwohl er jetzt so viel idyllischer ist als früher, ist er doch ganz klar ein umtriebiger Großstadtpark. Auf einer x-beliebigen Runde um den kleinen Ententeich kann man unter anderem sehen: die Jungs von der Lachgesellschaft (stehen im Kreis und rufen „ha-ha-ha-ha-ha-ha-ha“), den Bouleclub (die Hälfte der Mitglieder haben was aus Wolle an), zwei Kinder mit einem ferngesteuerten Boot, acht Kinderwagen, zwei lesende Mädchen (eine was aus der Edition Suhrkamp, eine die Brigitte Young Miss), drei Picknicks, zwei davon mit Einweggrill, eine kleine friedliche Mofagang und viele spazieren gehende Pärchen, die sich, wenn sie schlau sind, vorher in der kleinen Konditorei Kuchen geholt haben. Einmal saß auf dem Rasen eine Familie und hatte ihr Sonntagsessen dabei samt Brathähnchen, Kartoffelbrei und Nachtisch. Auf kleinstem Raum ist hier alles, was sonst auf eine Riesenfläche verstreut stattfindet. Normale Leute aus dem Viertel, nette Freaks, Kleinkinder, Jugendliche, Omis, Hunde, Enten, Wasser, Büsche, Wiesen, Schattenboxer, Bäume und seit etwa zwei Jahren auch ein Café. Es ist wie auf einem Wimmelbild von Ali Mitgutsch.

Seit das kleine vergammelte Klohäuschen an der Gärtnerstraßenseite als adrettes Café wiedergeboren wurde, muss man sich noch nicht mal was zu trinken mitbringen, wenn man zufällig eine Vorliebe dafür hat, abends auf dem kleinen Holzponton zu sitzen, zu lesen und den Enten beim Einschlafen zuzugucken. Früher war ich hier manchmal mit einer halben Flasche Rotwein, einer Decke und einem Buch. Damals musste ich dazu nur schräg über die Straße, und wenn ich beim Ankommen merkte, dass ich aus Versehen die Zeitung von gestern dabei hatte oder dass der Wein hinüber war, dann hat mich meine Dusseligkeit fünf Minuten gekostet. Wenn das Café Glück hat, dann sind die Parkbesucher von heute genau solche Trienchen wie ich damals und verbammeln ständig ihre Getränke. Wenn es Pech hat, dann will hier immer nur der Lachclub aufs Klo. Ich wünsch ihm Glück!

Montag, 25. August 2008

Goldbekmarkt

In Winterhude wohnen viele Menschen, denen egal ist, dass man am anderen Ende der Stadt bis elf Uhr früh tanzen und trinken kann und dass dieser Teil des Samstags dort noch zum Freitag gehört. Während anderswo Leute gerade ihren letzten Rest Würde verlieren, indem sie den Taxifahrer um eine Zigarette anschnorren, lassen andere sich auf dem Goldbekmarkt die Käsesorten erklären. Niemand soll mich falsch verstanden: Auf dem Goldbekmarkt ist es schön! Es gibt gute Blumen, guten Käse, gutes Fleisch, guten Fisch und gutes Brot dort. Die Leute, die hier langschlendern, sind bestimmt gute Nachbarn, haben ihre Finanzen im Griff, kaufen im Zweifel lieber Bio und fahren in den Ferien nicht zum Bumsen nach Thailand. Mancher würde gerne hier etwas über Wachstuchjacken oder Prada-Gummistiefel lesen! Aber man soll ja nicht lügen, und genau das täte ich, wenn ich jetzt schreiben würde, dass auf dem Goldbekmarkt nur Bunte-Leser sind.

Aber wenn ich jetzt so richtig verkatert wäre – ich sage nur, wenn – also gerade erst wieder am Ausnüchtern, aber schon mit der Ahnung im Kopf, dass das kein guter Tag wird. Nur mal angenommen! Und dann würde mich ein entnervter Taxifahrer hier rausschmeißen, weil ich nicht imstande wäre, meine Adresse so zu sagen, dass er mich verstehen würde. Und ich würde das alles sehen. Durch mein blaues Auge. Dann wäre dieser Markt genau das, was mir gerade noch gefehlt hätte.

Diesen Samstag bin ich ausgeschlafen, frisch geduscht, nicht die Spur von verkatert und zum ersten Mal seit langer Zeit mal wieder hier. Und gleich am Eingang zum Markt nehme ich mir vor, bis zum nächsten Mal nicht wieder so lange zu warten: ach ja, da war ja der Bratwurststand! Richtig gute Würstchen werden hier gebraten, und dass man jeden Samstag rituell eins zu essen hat, nimmt einem die Entscheidung, ob man sie sich verkneift oder nicht. Sie gehören dazu! Und mehr ist nicht zu sagen. Gegenüber ein Blumenstand, an dem ich schon zwanzig mal fast Blumen gekauft habe, aber eben nur fast, deshalb kann ich nichts darüber schreiben, ob sie lange halten (oder was man sonst noch so über Blumen schreibt). Aber sie sehen hübsch aus, und davor stehenzubleiben und sich erst nicht entscheiden zu können und dann zu beschließen, dass man auf dem Rückweg bestimmt diesmal wirklich ganz echt welche mitnimmt, gehört auch zu meinen Marktritualen. Dann weiter: Käse fast, aber Gemüse immer. Beim Käse war ich schon oft wirklich entschlossen, aber hatte immer das Pech, einen echten Kenner vor mir in der Schlange stehen zu haben, der 10 Minuten für seinen Kennerkäsekauf braucht.
Immer kaufe ich so viel Gemüse, dass ich mich damit auf sechs Tage im Vorraus festlege, was ich esse. Was immer schief geht, denn spätestens, wenn ich zum zehnten Mal den Kühlschrank aufgemacht habe und die Rübchen oder der Kürbis haben mich angestarrt, dann fühle ich mich, als hätte ich zehn Mal Rübchen und Kürbis gegessen und müsste es jetzt deshalb nicht zum elften Mal tun. Aber ich kann nicht anders. Wenn ich fünf Meter schönstes Gemüse und Obst vor mir liegen habe, dann kann ich nicht mit einem Pfund Bohnen und ein bisschen Thymian nach Hause gehen. Also kaufe ich auch noch Estragon und Borretsch (nur, weil sie da sind), und dann brauche ich ein Gemüse, zu dem sie passen, das ist dann der blöde Kürbis und dann noch etwas und noch etwas, und als ich wieder klar sehe, ist meine Tasche so schwer, dass ich Schlagseite habe. Das Gute daran ist aber: vom Gemüse aussuchen habe ich kohlschwarze Finger, und mit dem halben Alten Land unter den Nägeln besteht wenigstens keine Gefahr, dass ich meinen Kaufrausch weiter trage in die Läden am Poelchaukamp. Was also jetzt? Doch noch Kiez?

Sonntag, 24. August 2008

Der Bio-Pommesstand am Chilehaus

Donnerstag ist Pommestag. Jeden Donnerstag ist Markt auf dem Parkplatz am Chilehaus, und wer in der Nähe arbeitet, hat Glück: Die Bio-Imbissbude am oberen Ende macht richtig gute Pommes. Mit dem Prädikat „das beste XY der Stadt“ ist man in Hamburg schnell. Ich bin ein bisschen vorsichtiger. Wer weiß, ob es nicht irgendwo in Harburg oder Poppenbüttel bessere gibt? Trotzdem: falls ich so jemand wäre, der ständig findet, dass irgendwas das beste der Stadt ist, dann würde ich sagen, die besten Pommes der Stadt gibt es hier. Sie sind knallheiß (da hört es bei vielen anderen schon auf!), gerade richtig dick und lang, haben eine dünne, knusprige Hülle und sind in der Mitte schön cremig. Und die Portion ist genau so groß, dass ich keine Fritte mehr und keine weniger wollen würde. Dass sie dazu auch noch aus Biokartoffeln gemacht werden und dass der Mann hinterm Tresen aussieht wie ein freundlicher Grundschullehrer, der einem bestimmt NIE was Ungesundes verkaufen würde, macht alles noch schöner. Das letzte Mal, als ich nachgesehen habe, hieß die Fritteuse „Fri-Fri“. Wie Frou-Frou!

Biopommes sind zwar besser als Nicht-Bio-Pommes. Aber der Unterschied ist kein Vergleich zu dem, den man bei der guten Biomayonnaise und den Biowürstchen schmeckt. Es gibt Lammbratwürstchen, die zwar ein bisschen streng schmecken und sich vor allem mit dem Senf beißen, aber trotzdem keine Spur von dem unguten Gefühl hinterlassen, das man manchmal nach einer normalen Weihnachtsmarktbratwurst hat. Das hier ist Bratwurst für Erwachsene! Oder die Currywurst, die hier mit Curryketchup und Currypulver gemacht wird statt mit dieser fiesen braunen Sauce, auf die sich viele Frittenbuden zu Unrecht so viel einbilden.

Wie sich das für eine Bio-Imbissbude gehört, gibt es auch eine Gemüse-Reis-Pfanne (die ich nie essen würde, so lange das bedeutet, keine Pommes zu essen) und Bio-Limo. Im Winter wird es kuschelig, dann drängelt sich die Kundschaft an den zwei kleinen Tischchen unter der Plane zusammen und pustet auf ihre Pommes und ihren alkoholfreien Glühwein.

Was gibt es sonst noch auf dem Markt? Einen Bonbonstand, der genau so stinkt wie alle Bonbonstände auf allen Märkten des Landes. Eine Fischbude, an der man außer Fischbrötchen und frischem Fisch auch ungepulte Krabben kaufen kann. Die kann man dann mitnehmen in Richtung Speicherstadt, sich auf das Mäuerchen am Kanal setzen und eine schöne Sauerei veranstalten. Dann gibt es einen Stand, der nachgemachte Tupperware verkauft (das MUSS eine Geldwaschanlage sein, ich hab noch nie jemanden was kaufen sehen), einen Blumenstand, zwei Hofmetzger-Stände, einen Bäcker, einen wirklich, wirklich schlechten portugiesischen Imbiss, einen Hähnchenstand mit einer langen Schlange davor, einen Stand mit nach Knoblauch riechenden Pasten und einen zweiten Bio-Imbiss, der aber härter drauf ist als unsere Pommesbude. Dort gibt es nur Bratlinge mit Joghurtsauce, Poster giften gegen das Essen von Fleisch, der Mann hinterm Tresen sieht immer aus, als ob er friert, und gegen unsere Bude hat er leider keine Chance.

Donnerstag, 21. August 2008

Die Kleine Konditorei, Lutterothstraße

Ich hatte keine Ahnung davon, dass es die kleine Konditorei gibt und was für ein Glück wir alle haben, dass das so ist, bis ich genau in das Haus gezogen bin, in dem die Backstube ist. Mein Vormieter hatte mir noch erzählt, wie schön es wäre, Sonntags früh um sechs nach Hause zu kommen und an die Nebentür im Hausflur zu klopfen, um ein paar frische Brötchen zu bekommen. Ich dachte, naja, Brötchen, nie verkehrt. Da hatte ich noch keine Ahnung, wie gut die Brötchen sind, die man hier bekommt. Und nicht nur die Brötchen: alles ist gut! Wirklich alles! Ich kann gut backen. Wirklich wahr! Mein Kuchen leben selten länger als 24 Stunden, und meistens werde ich nach Rezepten gefragt. Weil ich weiß, wie wenig Arbeit ein wirklich guter Kuchen macht, ärgert es mich immer fürchterlich, in einer Bäckerei schlechten Kuchen zu kaufen. Tatsächlich können fast alle zwar Brot, aber keinen Kuchen. Hier ist das anders: Brot in der kleinen Konditorei ist eine Freude, Kuchen eine Wucht. Vor allem die Blechkuchen, aber das sage ich nur, weil ich kein Tortenfreund bin und die Torten noch nicht versucht habe. Trotzdem würde ich auch für die blind meine Hand ins Feuer legen. Die Baguettes! Meilenweit entfernt von diesen verlängerten Brötchen, die man anderswo bekommt. Die Nussbrioches, für die ein gegen Nüsse allergischer Freund angeblich schon ein paar mal einen Atemstillstand riskiert hat. Die Pralinchen, die meine Oma jedes Jahr zu ihrem Weihnachtsgeschenk dazu bekommt! Vor allem die, die zum Teil aus Honigkuchen bestehen.

Aber die Backwaren sind noch längst nicht alles, wofür man die kleine Konditorei, Entschuldigung, Die Kleine Konditorei loben muss. Die Verkäuferinnen sind freundlich und zackig und siezen ihre Kundschaft. Es gibt außer Brot und Kuchen noch eine völlig vernünftige und unversnobte Auswahl an anderen Dingen, die die Kunden möglicherweise für ihr Sonntagsfrühstück noch brauchen könnten (z.B. Tageszeitungen, Schinken, Käse, Butter, Milch, Cola, Yogurette, Mohrenköpfe, einzeln in Pergamentpapier gewickelte Eier). Inzwischen bilden sich am Wochenende Schlangen vor der Tür, die man sonst nur aus DDR-Dokumentationen kennt, aber das ist nicht schlimm, denn man hat in der Schlange viel zu gucken (Hunde, nette Nachbarn, hat der Typ da seinen Schlafanzug unterm Mantel an? Schon, oder? Sieht jemand, dass ich meinen auch anhabe?), man weiß, dass die Frauen hinterm Tresen auf Zack sind, man kann den schönen Zimtgeruch tief einatmen (so riecht Vorfreude!), und außerdem hat DKK ein Einsehen und stellt für die Warteschlange ein Tischchen mit einer großen Kanne Kaffee auf, an der man sich bedienen kann. Während die einen knapp vor der Tür warten, fast schon dran, kommen die anderen mit ihrer blauen Tüte voll guter Sachen nach draußen, und man schmunzelt sich zufrieden an. „Wir wissen, was gut ist!“

Irgendwann hatte sich das mit der Zwischentür im Hausflur leider erledigt: Die Kleine Konditorei hat umgebaut, und die Tür wurde dicht gemacht. Die Umbauten dauerten ca. vier Monate, und leider bin ich anfangs auch im vierten Stock aus dem Bett gefallen, weil die Bauarbeiter natürlich morgens um sieben mit den allerlautesten Arbeiten anfingen. War dann das ganze Haus wach, wurde es schlagartig ruhig. Das hat mir gestunken, ich habe eine Email geschrieben und eine sehr nette Antwort bekommen. Von da an war es nie wieder so früh so laut. Und zwei Wochen später hat der nette Bäcker sich noch mal erkundigt, wie es denn mit der Nachtruhe so wäre. In einer Welt, in der viele Leute sich moralisch überlegen fühlen, nur weil sie früher aufstehen, ist so etwas selten und wunderbar. Wie alles an dieser besten Bäckerei der Stadt.

Strandperle im Oktober

Wenn man im Oktober nach Hamburg zieht, noch nicht weiß, wie einem geschieht und trotzdem schnell das Gefühl haben will, hier zu Hause zu sein, dann habe ich einen Vorschlag: an einem nieseligen Tag mit der U3 bis Landungsbrücken. Decke und Schirm nicht vergessen. Schon in der U-Bahn treibt es einem angesichts der Aussicht die Tränen in die Augen, jedenfalls, wenn man aus Richtung Rathausmarkt kommt. An der Station ein paar dicke Knollen Astra kaufen. Dann per HVV-Schiffchen stromabwärts bis Övelgönne. Egal, wie das Wetter ist: unbedingt draußen stehen, ganz vorne, wo jederzeit Gefahr besteht, dass man patschnass wird, wenn der Fluss das so will. Am Museumshafen aussteigen, die Ausflugslokale mit den Plastikstühlen links und rechts ignorieren und über den Strand bis zur Strandperle stapfen. Die hat um diese Jahreszeit schon zu, deshalb auch das mitgebrachte Astra! In den nassen Sand setzen, die Decke um sich herum mummeln, den Schirm aufspannen, das erste Bierchen öffnen und jetzt eine Stunde nur noch Schiffe gucken und freuen. Laufen dann Spaziergänger vorbei, dann sehen sie einen da sitzen und denken sich: tja, so sind wir Hamburger, 12 Grad und Nieselregen, aber wir sitzen am Strand, als wär's Italien. Jedenfalls kann man sich einbilden, sie würden das denken. Und dann setzt es ein, dieses Gefühl, in einer Stadt zu wohnen, in der es Klischees gibt, denen man sehr gerne entspricht.

Das ist jetzt Jahre her, und wenn ich so nach draußen in den Regen gucke, dann denke ich, das würde ich auch gerne mal wieder machen. (Auch, wenn ich inzwischen gelernt habe, dass man Astra kennerhaft abzulehnen hat, wenn man nicht sofort als Szenedepp gelten will. Davon keine Ahnung zu haben und sich einfach über eine neue Sorte Bier in hübschen Flaschen zu freuen, das es zu Hause nicht gab – das war schön.)

Mittwoch, 20. August 2008

Innocentiapark

In Hamburg könnte man manchmal denken, Parks sind vor allem zum Joggen da. Dieser hier ist eine Ausnahme: Der Innocentiapark ist der einzige Hamburger Park, um den man lieber von außen herumjoggt statt mittendurch.
Ein Grund könnte sein, dass es innen zu sonnig ist – der Park besteht aus viel grüner Wiese und wenig Baum, also viel Aussicht, wenig Schatten. Noch ein Grund, lieber außen zu laufen: Die Runden sind sonst sehr klein. Nicht direkt so klein, dass man einen Drehwurm bekommt, aber doch mit 400 Metern nah dran. Und langweilig wird es auch, denn man kann auf der Innenrunde fast die ganze Zeit die komplette Strecke überblicken. Und will man mitten in einem schönen englischen Park an ein Sportstadion, Bundesjugendspiele usw. erinnert werden? Ich nicht!
Außen dagegen: man läuft im Schatten auf knirschendem Splitt und über Baumwurzeln. Vorbei an zuckergussverzierten kleinen feinen Villen, in denen nette Leute zu wohnen scheinen: Es duftet aus gekippten Küchenfenstern nach gutem indischem Essen, und kaum jemand fährt ein SUV. Wenn es im Herbst früher dunkel wird, kann man im Vorbeirennen den Leuten auf die Bücherregale und die Orchideentöpfe gucken. Und falls andere Jogger unterwegs sind, sind sie langsam genug, um nicht ständig von hinten angekeucht zu kommen und mich pro Runde zweimal zu überholen, nur um mich zu demoralisieren. Eine Runde dauert zwischen vier und fünf Minuten, und weil der Park leicht abschüssig verläuft, geht es auf jeder Runde auf zwei Seiten leicht bergan und auf zweien leicht bergab. Darauf kann man sich dann während der winzigen bergan-Anstrengung freuen, jede Runde zerfällt in zwei okaye und zwei sehr gute Teile. Und die Aufteilung der Strecke in viele kleine Mini-Aufgaben hilft, das wissen alle, die wie ich eher aus Vernunft joggen als „aus Spaß“.
Im Inneren des Parks bin ich, wenn ich nicht joggen will. Dort sieht man eher nordic walkende ältere Frauen. Wie dünn manche davon sind! Ich kann es nicht fassen. Ein lebenslanges Broccoli- und Fisch-Regime steckt vermutlich dahinter. Jedenfalls bei denen, die allein walken. Die etwas gemütlicher aussehenden sind dagegen meistens zu zweit unterwegs. Ich kann verstehen, wieso die Dünnen allein ihre Runden drehen müssen: Neben so einer 60jährigen Gazelle will man als Freundin nicht gerne beim Walken gesehen werden, weil man ja befürchten muss, dass sich die Leute denken „Die eine hat's nötig, die andere nicht“ oder auch „wie nett, dass die Dünne ihrer dicken Freundin Gesellschaft leistet, Motivation und so, sonst würde die sich vermutlich überhaupt nicht aufraffen können und nur noch fernsehen“. Egal ob rundlich oder drahtig, als Walkerin in dieser Gegend scheint man mindestens einmal im Monat zum Friseur zu gehen.
Außer den Walkerinnen gibt es ein paar schöne Hunde, die immer wieder hysterisch vor Glück über die große Wiese in der Mitte des Parks fegen. Auch die erinnern einen daran, dass wir hier in Harvestehude sind und nicht am Berliner Tor: niemand brüllt den Hunde ständig Kommandos zu, nur um dem ganzen Park zu zeigen, wer hier Herrchen im Haus ist. Auf den Bänken sitzen alte Leute und beobachten das alles – die Walkerinnen, die Hunde und die Kinder drüben auf dem Spielplatz – mit großem Wohlwollen. Ich kann mich dunkel daran erinnern, dass in einer Bella Block-Folge eine Leiche im Innocentiapark gefunden wurde. In Wirklichkeit passiert hier mit Sicherheit nie irgend etwas, da bin ich ganz sicher. Das Skandalöseste in diesem Park: der taufunkelnde Grillmüll am Morgen nach einem sonnigen Samstag. Dann liegen auf der Wiese leere Plastikflaschen, Bierdosen und schmierige Einweggrills, und die Labradore freuen sich über Würstchenreste. Auf den Bänken ist man behaglich entrüstet: „Guck mal, alles voll.“ „Jaja.“ „Und da drüben auch.“ „Schlimm schlimm.“ „Dabei stehen hier überall Mülleimer.“ „... pierkörbe, ja. Sollte man meinen.“ „Da kann man doch...“ „Eine Un-ver-schämt-heit.“ Aber selbst den Grillmüll umweht ein Hauch von besserer Gegend: Rund um die Mülleimer stehen zwischen Bierdosen Cremantflaschen, und neulich, als ich an einem Maimorgen unterwegs war und mir bei jeder Runde dachte: Was riecht denn hier so? Ist das... ist das... war nach der fünften Runde eindeutig klar: ja, im Innocentiapark riechen die Büsche morgens nach Spargelpipi.