Sonntag, 5. Oktober 2008

Asia-Laden am Stellinger Weg

Stell dir vor, du stehst im Supermarkt mit einem Einkaufswagen, in dem ca. 30 Sachen sind. Ein ganzer Einkauf. Nur leider bis auf die eine Zutat, ohne die du dein Abendessen nicht so hinkriegst, wie du willst. Jetzt hast du drei Möglichkeiten.

Die erste: Du lässt den Wagen stehen und gehst. Das wäre praktisch, aber unhöflich, weil dann ein paar Stunden später die Angestellten Deinen Kram wieder wegräumen müssen. Und mit Pech taut sogar der Fisch so weit auf, dass ihn niemand mehr essen kann – und wenn es ganz blöd läuft, ist das dem Supermarktpersonal egal, sie tun ihn trotzdem zurück in die Truhe, und irgend jemand anderes hängt die halbe Nacht überm Klo. Möglichkeit eins ist also wohl keine gute Lösung.
Möglichkeit zwei: Du räumst selbst alles wieder weg und gehst in den nächsten Laden, in der Hoffnung, dass Du da das alles auch bekommst plus die eine fehlende Zutat. Wenn du es so machst, hast du zwar ein gutes Gewissen, aber wenn du Pech hast, dann gibt es im nächsten Laden auch wieder eine Zutat nicht (natürlich eine andere) und Du bist genau so weit wie vorher. Außerdem ist das die sicherste Methode, die Lust auf dieses Abendessen zu verlieren.
Möglichkeit drei: Du kaufst das, was da ist, und schleppst Dich dann mit zwölf Kilo Einkäufen in den nächsten Laden. Unterwegs reißt Dir eine Tüte, und Du musst auf diese Art zweimal Dein voll beladenes Fahrrad abschließen, wobei es gerne umfällt (und die Tüte reißt).

Dieses Szenario ist im Supermarkt nicht schön. Im Asia-Laden nervt es aber noch viel mehr. Denn während ich im Supermarkt immer noch eine vierte Möglichkeit habe, nämlich mir einfach ein anderes Abendessen auszudenken, wird das im Asia-Laden schwierig. Zwischen diesen ganzen fremdartigen Gläschen und Flaschen kann ich nicht so herumbummeln und mich inspirieren lassen. Ich hab zwar ein Rezept, aber nicht das leiseste Gefühl dafür, wonach die einzelnen Zutaten schmecken und wodurch sie sich ersetzen lassen könnten. Und noch viel weniger kann ich vom Ma-Po Hühnchen auf Seite 102 spontan umschwenken auf die Ente in Pflaumensauce von Seite 75. Dann kommt noch erschwerend hinzu, dass die Leute im Asia-Laden nicht irgendwelche Angestellten sind, sondern die Ladenbesitzer, sie sind fürchterlich freundlich, und ich will sie nicht enttäuschen, indem ich wieder gehe, weil es keine schwarze Bohnensauce gibt. Gleichzeitig will ich aber auch nicht den nächsten Ladenbesitzer vor den Kopf stoßen, weil ich mit acht Tüten zu ihm in den Laden komme (es sind halbdurchsichtige Tüten, und er sieht garantiert, dass sie knallvoll mit Asia-Kram sind) und dann nur die fehlende schwarze Bohnensauce kaufe. Und dann kommt auch noch dazu, dass die Tüten im Asia-Laden noch viel knistriger und dünner sind als im Supermarkt und noch viel leichter reißen, wenn ich in den nächsten Stadtteil muss, um in noch einen anderen Laden zu gehen.

Nach einer vollgeschriebenen DIN A4-Seite ist wohl klar: Ich sollte mir eine Einkaufstasche kaufen. Und ich finde es gut, wenn ein Asialaden so sortiert ist, dass ich nicht noch woanders hin muss. Zum Glück gibt es einen Laden, in dem noch nie etwas gefehlt hat. Das ist ein kleiner Asialaden ohne Namen am Anfang des Stellinger Wegs, kurz hinter dem Blumenladen, aber noch vor dem Fischgeschäft. Ich weiß nicht, wie sie das machen, denn der Laden ist eher kleiner als die anderen Asialäden. Es gibt drei Sorten indisches Fladenbrot, so ziemlich jedes Gewürz auf dem Planeten, alles für japanisches, thailändisches, chinesisches, indisches oder koreanisches Essen, es gibt Pak Choi, Koriander, Thai-Auberginen, vier Sorten frische Chilis und Galgant. Die Chefin spricht abwechselnd englisch und deutsch, man weiß nie, wieso, aber sie ist sehr nett dabei. Und angeblich gibt es hier unter der Woche auch wirklich gutes Essen (ich kann es nicht wissen, ich kann nur Samstags herkommen). Und alles ist so billig, dass ich manchmal fast ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich nach Hause fahre mit meinen Einkäufen. Ohne weitere Umwege und Zwischenstationen. Und sie geben einem notfalls auch drei Tüten. Noch nie ist eine davon gerissen.

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Vor Petisco, April bis September

Und manchmal auch Oktober, wenn es nicht so ist wie heute.
Was auch schön ist, sogar solches Wetter zum Ertrinken ist schön hier.
Aber dazu auf dem Schulterblatt sitzen und Rippchen abnagen will ich nicht. Und das will ich sonst fast immer!

Ich weiß, das viele Hamburger sagen, das ginge gar nicht. Dann fallen solche Formulierungen wie "sehen und gesehen werden". Wer hier sitzt, der sitzt hier nicht nur einfach so, der demonstriert eine Mischung aus Eitelkeit, Prolligkeit, Ignoranz und purem Spackentum. (Es ist übrigens richtig, richtig billig hier. Dieser Aspekt von "sehen und gesehen werden" kann also nicht gemeint sein. Ich weiß auch nicht. Einer hat damit angefangen, und nun plappern es alle nach.) Das soll zum Teil damit zu tun haben, dass das hier mal weniger ein Vergnügungsviertel als eine Mission war. Und viele von denen, die sich daran noch erinnern, packt eine teils hilflose, teils ziemlich laute Wut darüber, wie man hier einfach so rumsitzen kann mit einer Retro-Sonnenbrille und einen Kaffee trinken. Oder ein portugiesisches Bier. Manche von denen, die das stört, sind vielleicht auch selbst erst vor drei Jahren aus Stuttgart hergezogen. Wer weiß? Es wird jedenfalls ganz schön viel geschwäbelt im Schanzenviertel.

Ich habe keine Retro-Sonnenbrille, sogar überhaupt keine Sonnenbrille, und ich trinke, wenn ich schon mal beim Portugiesen bin, lieber vinho verde als Sagres. Aber davon abgesehen, was es zu bedeuten hat, hier zu sitzen, und abgesehen davon, wie manche das finden, und abgesehen von schlimmer Musik aus Boxen, die freigiebige Musikfreunde unter den Nachbarn uns allen zur Verfügung stellen (wieso tun das immer nur Leute mit blödem Musikgeschmack?), abgesehen vom Rumgestehe und davon, dass man, wenn man Pech hat, hier nach Feierabend plötzlich mitten zwischen denen sitzt, die einen schon tagsüber manchmal nerven, abgesehen von diesem und jenem und noch hundert anderen Sachen geht es mir hier oft so gut, dass ich schon eine fürchterliche Prinzessin auf der Fischkrokette sein müsste, um mich um die ganzen abgesehens zu scheren. Die Rippchen sind genau richtig braun und fettig, und ich würde ja auch mal Hühnchen nehmen, das ist nämlich auch gut, oder Sardinen oder Muscheln, aber das würde ja bedeuten, heute keine Rippchen zu nehmen, und das geht nicht.

Dann ist da noch der Weintrick. Wer hier ein Glas Wein bestellt, bekommt trotzdem eine ganze große mit Wasserperlen betaute Literkaraffe. Wenn er nur ein Glas trinkt, bezahlt er auch nur ein Glas. Aber ich habe noch nie erlebt, dass auf diese Art nicht alle dreimal so viel trinken wie geplant, und das war bisher immer gut so. Er tut auch nicht weh, der vinho verde. Weder Abends noch am nächsten Morgen. Die zweite Karaffe kommt, es wird dunkel, und die Hackisack-Spieler und der dünne hibbelige Junkie und die Mafia-Kombo sind auch schon durch. Wir bleiben sitzen, ist immerhin schon November, und wer weiß, wie lange der Sommer noch dauert?